Thistlegorm, Straße von Gubal
by: Eva-Maria Reiter • 06.12.2006

Das Wrack der Thistlegorm, Straße von Gubal

Die Thistlegorm zählt zu Recht zu den eindrucksvollsten Wracks im Roten Meer – eine Legende, die jeder Taucher, der auch nur ein wenig an Geschichte interessiert ist, wohl einmal selbst betaucht haben muss.

Die „Blaue Distel“ war ein Frachter mit einer modernen Dampfmaschine.

Im April 1940 in Nordengland vom Stapel gelaufen, wird ihr bereits ihre vierte Fahrt im Oktober 1941 zum Verhängnis. Schwer beladen mit Waffen und Munition, aber auch mit 2 Dampflokomotiven mit Schlepptendern und Wasserwagen, mit Lastkraftwagen und Geländefahrzeugen, Motorrädern, Flugzeugteilen, Ersatzteilen und anderen Versorgungsgütern, war ihr Ziel der Hafen Tawfiq am Suezkanal, um die 8. britische Armee in Nordafrika zu versorgen, die Feldmarschall Rommels Afrikakorps stoppen sollte!

Doch während die SS Thistlegorm inmitten eines Convoys von 20 britischen Schiffen an einem Notankerplatz („Anchorage F“ östlich der Straße von Gubal) auf die Erlaubnis zur Weiterfahrt wartet, wird der Verband von zwei deutschen Bombern vom Typ Heinkel He 111 angegriffen. Die Maschinen waren in Kreta stationiert und dienten dem Zweck, das deutsche Afrikakorps zu unterstützen – eigentlich suchten sie die Queen Mary, auf der australische Truppen vermutet wurden, doch sie fanden den britischen Transport-Konvoy. Wie nachzulesen ist, flog die bombardierende He 111 so tief, dass weder die Kanonen des im Verband begleitenden Kreuzers HMS Carlisle, noch die Schiffsflak der SS Thistlegorm selbst eingesetzt werden konnten. Mindestens eine der beiden von den Deutschen abgesetzten Bomben trafen den Frachter mittschiffs, direkt hinter der Brücke. Die unter Dampf stehenden Kessel der Maschine explodierten, ebenso danach ein Großteil der transportierten Munition – das Schicksal der SS Thistlegorm war besiegelt: Das Schiff versinkt in weniger als einer halben Stunde nach dem Angriff. Von den 39 Mann Besatzung überleben 30.

Von Hurghada aus ist es ein weiter Weg bis zur Straße von Gubal – da heisst es früh aufstehen und während der 3 – 4 Stunden Fahrt auf dem Schiff schlafen. Und so kommen wir an, während die einen am Tauchplatz liegenden Tauchschiffe den ersten Tauchgang bereits abgeschlossen haben, während andere sich gerade zum Abtauchen fertig machen. Wir zählen beinahe 15 vor allem größere Tauchschiffe – und weitere Boote sind bereits im Nahen. Und was uns damit unter Wasser erwartet, können wir uns deutlich vorstellen.

Wir gehen an unserer Leine bis auf das Vorschiff herunter und sehen erst mal ... nichts. Oder kaum etwas. Denn die Sicht ist aufgrund der vielen Taucher vor uns und um uns nicht besonders gut, sehr viele Schwebteile trüben den Blick. Wir können gerade mal das wuchtige Hauptschiff ausmachen, Leinen über Leinen wurden hier von den Guides vertäut, so dass es gut angeraten ist, sich die Farbe der eigenen Leine zu merken, um wieder auf das richtige Tauchboot zurückzukommen. Die SS Thistlegorm ist ein gewaltiger Koloss. Wer dies erahnen will, der mag sich rückwärts von der Bugreling mit ausgebreiteten Armen in die Tiefe fallen lassen ... .
Wir beginnen unsere Erkundung hier am Bug. Während wir langsam in ungefähr südöstliche Richtung über das Hauptschiff schweben, kommen wir mit Schauen kaum noch nach: Die Ankerwinsch ist hervorragend erhalten, die steilen Treppen vom Vorschiff herab weisen auf zwei Wasserwagen an Steuerbord und Backbord zu. Der eine ragt in den ersten Laderaum hinein, in dem auf unterer Ebene vor allem Kisten mit verschiedenem Material, aber auch Reifen und Gummistiefel (Gummistiefel in der Wüste???) verstaut waren, während in der oberen Ebene Morris-Autos und jede Menge Motorräder zu sehen sind. Wieder aus dem Laderaum hochgestiegen, kommen uns als erstes die Winschen und Lade-bäume in den Blick. Über die torpedoähnlichen Geräte auf beiden Seiten des Hecks kann ich mir zunächst keinen Reim machen, erst später habe ich gelernt, dass mit diesen Schwimmkörpern Wasserminen-Verankerungen durchtrennt wurden. Der Hauptmast liegt quer und ruht jetzt auf einem der Eisenbahnwaggons. Die Luke zum zweiten Laderaum offenbart den Blick wieder auf eine Menge Fahrzeuge: Lastwagen, Autos, Motorräder. Die jetzt folgende Brücke ist völlig einsehbar, da die Verkleidung mittlerweile fehlt. Im dritten Laderaum waren vor allem die Munition gelagert, die Bomben und Artilleriegeschosse und unzählige Kisten mit Minen und Granaten oder Gewehren – ein Bereich, dem wir uns nicht weiter nähern. Aber auch der Rest des großen Schornsteins interessiert uns jetzt nicht weiter. Statt dessen gehen wir tiefer und befinden uns nun über dem Teil des Frachters, der unter der Explosion am meisten gelitten hat: Hier, auf Höhe des vierten Laderaums wurde das Schiff in zwei Teile gerissen, die offenen stählernen Seitenwände ragen wie Walgerippe in die Höhe. Ein wildes Durcheinander von weit verstreut umherliegenden Kisten und Munition, Granaten und anderen Explosivkörpern, dazwischen zwei kleine Panzerfahrzeuge. Das Heck steht schräger als das Hauptschiff – hier fallen uns sofort die eindrucksvolle Bordkanone auf, und die Bordflak, die die SS Thistlegorm an diesem Schicksalstag im Oktober 1941 nicht schützen konnte.

Ein Blick auf den Computer mahnt uns zur Umkehr. Wir gehen langsam höher und tauchen auf rund 15 Metern über dem Schiff zurück Richtung Bug. Erst jetzt kommt die beeindruckende Länge von beinahe 130 m zur Geltung. Ein wahrer Koloss. Gefüllt mit schier unendlichen Mengen an Kriegsmaterial, für Tod und Zerstörung gedacht, ruht er jetzt wie ein Mahnmal friedvoll auf dem Grund.

Den Sicherheitsstop verbringen wir an der Leine, halten uns ob der starken Strömung gut fest und haben zum ersten Mal auch einen Blick für die Fische um uns herum: Die letzten Meter hatte uns mit majestätischen Zügen eine Schildkröte begleitet. Ein prächtiger Zacki zog an uns vorbei. Scharen von kleinen Rifffischen ziehen durch´s Blau.

In diesen Minuten denke ich, dass mir das bunte und fröhliche Leben in den Riffen doch weitaus mehr Vergnügen macht, aber den Tauchgang zu diesem Wrack mit seiner besonderen, eindrucksvollen Atmosphäre möchte ich dennoch nicht missen.

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